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Dr. Harald Wiesendanger

Bibis nächster Lockdown

Aktualisiert: 30. Aug. 2021

Heute Israel, morgen Deutschland? Die Regierung in Tel Aviv verwandelte ihr Land bereits im September 2020 erneut in eine Haftanstalt - wegen steigender Infektionszahlen.



Heute Israel, morgen Merkelland? Wegen zunehmender Neuinfektionen hat die Regierung in Tel Aviv einen ZWEITEN landesweiten Lockdown beschlossen. Mindestens drei Wochen soll er dauern. In Kraft tritt er am Freitag, 18. September 2020, um 13 Uhr, vor Rosch ha-Schana, dem jüdischen Neujahrstag.


Neuauflagen dieses selbstzerstörerischen Staatsmasochismus, fernab einer tatsächlichen Bedrohungslage für die Volksgesundheit, könnten in Kürze wieder weltweit Schule machen. Denn weiterhin verwechseln Regierungen weiterhin Infektion und Krankheit, irregeführt von einer verhängnisvollen Neudefinition des Pandemiebegriffs, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Frühjahr 2009 der Welt verordnet hatte.


Außer Lebensmittelgeschäften und Arztpraxen soll in Israel alles geschlossen bleiben – auch Schulen und Kindergärten, Hotels und Restaurants, Einkaufszentren und Freizeiteinrichtungen. Menschen dürfen sich nicht weiter als 500 Meter von ihrem Zuhause entfernen, außer für Lebensmitteleinkäufe, Apothekengänge und Arztbesuche. Im Freien dürfen sich nicht mehr als 20 Menschen versammeln, in Innenräumen bis zu zehn.


Aus Protest gegen den abermaligen Lockdown erklärte der ehemalige Gesundheitsminister Yaakov Litzman, ein wichtiger Koalitionspartner von Ministerpräsident Benjamin „Bibi“ Netanjahu, umgehend seinen Rücktritt.

Die „dramatisch“ gestiegene Anzahl der Neuinfektionen lasse keine andere Wahl, so rechtfertigte Netanjahu die umstrittene Entscheidung. „Warnungen von Gesundheitsbeamten“ hätten zu ihr beigetragen. An vier aufeinanderfolgenden Tagen seien in der abgelaufenen Woche jeweils Rekordwerte verzeichnet worden. Die Zahl der Corona-„Fälle“ seit Beginn der Pandemie habe inzwischen 150.000 überschritten. (1)


Tests auf Teufel komm raus


Zu erwähnen vergaß Netanjahu das Allerwichtigste: Ebenso „dramatisch“ gestiegen ist die Anzahl der durchgeführten Tests. Noch Anfang März hatten in Israel täglich weniger als 200 Corona-Tests stattgefunden, vor der letzten Märzwoche unter 5.000; im April zwischen 5.700 und 15.400; im Juni höchstens 21.000; im Juli bereits bis zu 32.500; im August und September zeitweise schon über 35.000. (2)


Hingegen bewegen sich die Zahlen für schwer Erkrankte und Verstorbene aufgrund von Covid-19 – der entscheidende Gradmesser für die Gefährlichkeit einer Pandemie - auch in Israel, wie im Rest der Welt, weiterhin auf niedrigem Niveau. Aktuell befinden sich dort 519 SARS-CoV-2-Infizierte in einem „ernsten oder kritischen“ Zustand – nicht mehr als 1 % der akuten Fälle. Bis 13. September zählte Israel 1119 „Corona-Opfer“ - gerade mal 0,0012 % (!) der Bevölkerung. Von ihnen verschieden die meisten zwar MIT, aber kaum jemals allein WEGEN einer SARS-CoV-2-Infektion. In der ersten Septemberhälfte (bis 13.9.) starben pro Tag nie mehr als 23 Israelis mit „positivem“ Befund; im Schnitt waren es 12. Wie viele fielen an denselben Tagen Unfällen, Herz-Kreislaufleiden, Krebs, Süchten, Blutvergiftungen, Fehlbehandlungen, Krankenhauskeimen, Nebenwirkungen von Medikamenten zum Opfer? Wieso darf man 2020 auf der Erde an allem und jeglichem erkranken und sterben, ohne dass ein Hahn danach kräht – bloß nicht an Corona?


Auch in Israel, wie überall auf diesem Planeten, bleiben vier von fünf Infizierten beschwerdefrei, putzmunter und kerngesund; weitere 15 % entwickeln bloß milde, erkältungsähnliche Symptome. Und auch dort liegt das Durchschnittsalter von „Corona-Opfern“ um die 80 Jahre – genaugenommen bei 81,3. Aus der Mitte ihres Lebens gerissen hat sie der „Killerkeim“ also nicht unbedingt.


Wie können es bloße Ansteckungsraten rechtfertigen, ein ganzes Land in eine Haftanstalt zu verwandeln, das öffentliche Leben einzufrieren, der Wirtschaft schwersten Schaden zuzufügen, grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft zu setzen? Wie arg muss man eine „zweite Welle“ fürchten, die eher Fernsehsendungen und Zeitungsseiten füllt als Arztpraxen, Intensivstationen und Friedhöfe?


Schon Israels erster Lockdown hatte sich verheerend ausgewirkt


Mit drastischem Infektionsschutz hatte Israels Regierung früh begonnen, dafür von WHO-hörigen Hardlinern als „Musterschüler“ gelobt. Bereits in der ersten Märzhälfte 2020 verhängte sie Einreisebeschränkungen, verbot Veranstaltungen und Versammlungen mit mehr als zehn Teilnehmern, schloss Schulen und Universitäten. Am 18. März ordnete sie an, alle Hotels, Kindergärten, Geschäfte, Einkaufszentren, Restaurants, Vergnügungsorte wie Freizeitparks, Theater, Kinos oder Fitnesszentren dichtzumachen; ausgenommen blieben Lebensmittelgeschäfte, Banken, Apotheken und Tankstellen. Mit Bargeld zu bezahlen, war verboten. Viele Infizierte wurden zwangsweise in größeren Hotels untergebracht, welche die israelische Armee zu Isolierstationen umrüstete. Bei Verstößen gegen eine angeordnete Quarantäne drohten Haftstrafen von bis zu sieben Jahren.


Vom 18. März an kamen Instrumente zur Massenüberwachung zum Einsatz. Zur Kontaktverfolgung steuerte die Spionagefirma NSO Software bei, die sich weltweit bei der Überwachung von regimekritischen Aktivisten und Menschenrechtlern bewährt hat. Eine neue Verordnung erlaubte es dem Inlandsgeheimdienst Schin Bet, individuelle Informationen der Bürger zu sammeln. Dazu griff er auf Handy- und Bewegungsdaten zu, die nicht anonymisiert waren. Wer sich in den vorangegangenen zwei Wochen im Umkreis von zwei Metern für 10 Minuten oder mehr von jemandem befand, der sich als „Coronavirus-Träger“ herausstellte, wurde per SMS alarmiert, er müsse sich unverzüglich in Quarantäne begeben. Zur Abstandskontrolle sprach sich Premier Netanjahu dafür aus, alle Bürger mit einem sensorsteuernden Mikrochip zu versehen: „Jede Person, jedes Kind – ich will es an Kindern zuerst – sollte einen Sensor haben, der einen Alarmton abgibt, wenn man zu nahe kommt, wie diejenigen an Autos.“ (3)


Strenge Ausgangsbeschränkungen galten in Israel bis Anfang Mai.


Auf die Wirtschaft wirkte sich der Lockdown verheerend aus. Eine Million Menschen verloren ihre Arbeit, die Arbeitslosenquote stieg auf 20 %. Im zweiten Quartal brach das Bruttoinlandsprodukt, aufs Jahr hochgerechnet, um 28,7 % ein. Die Staatsausgaben schossen um 25,2 % in die Höhe. (4) Ging Israels Zentralbank im Frühjahr noch von einem V-förmigen Krisenverlauf aus, so stimmt sie die Nation mittlerweile auf eine lang anhaltende Belastung ein. Zudem rechnet sie mit einem Haushaltsdefizit von etwa 13% – einem der höchsten weltweit. Bei einer Erhebung des Zentralamtes für Statistik im August 2020 erklärten 19 Prozent aller befragten Unternehmen, „unter den gegenwärtigen Umständen“ könnten sie nur noch drei Monate lang überleben; weitere 21 Prozent gaben an, ihr Betrieb lasse sich höchstens noch vier bis sechs Monate lang aufrechterhalten.


In der Bevölkerung wuchs der Widerstand, in Umfragen sanken Netanjahus Beliebtheitswerte. In Tel Aviv weigerten sich Restaurantbesitzer, angeordneten Schließungen zu folgen, woraufhin die Regierung ihre Vorgaben wieder zurücknahm. (Na also: Ziviler Ungehorsam wirkt.) Mehrere tausend Menschen trauten sich, mit jeweils zwei Metern Abstand gegen die Corona-Diktate der Regierung Netanjahu zu demonstrieren: „Sie sprechen von einer exponentiellen Zunahme der Coronafälle, aber das einzige was exponentiell zunimmt, das sind die Menschen, die aufstehen, um unser Land und unsere Demokratie zu schützen.” Ständig wechselnde und widersprüchliche Corona-Anordnungen, die Sorge um die eigene Existenz und ihre Grundrechte verunsicherten und empörten immer mehr Bürger. Eine Einmalzahlung von 190 Euro für fast jeden Israeli, plus knapp 40 Euro für jedes Kind unter drei Jahren, besänftigte nur wenige aufgebrachte Gemüter.


Nachdem Gesundheitsbehörden Mitte Mai in Israel nur noch 16 Neuinfizierte pro Tag zählten, ließen sie abrupt Lockerungen zu; Schulen öffneten wieder, Strände, Bars und Restaurants ebenfalls. Als während der ersten Hitzewelle des Jahres Temperaturen bis zu 42 Grad herrschten, hob das Gesundheitsministerium die Pflicht zum Tragen von Masken zeitweise auf.


Gerüchte, ein zweiter Lockdown stehe bevor, sorgten in Israel schon seit Wochen für heftige Diskussionen. Eine Koalition von Alarmisten aus Politik, Wissenschaft und Medien beklagte rund um die Uhr einen „sprunghaften Anstieg“ an Corona-Neuinfektionen. „Rekordwerte“ wurden vermeldet. In der ersten Juliwoche wurden mehr als 1300 neue „Fälle“ gezählt - 500 Mal mehr als noch Anfang Mai und der höchste Tageszuwachs seit Pandemiebeginn. Ende August fielen über 2000 „Fälle“ pro Tag auf. Bis Anfang September rückte Israel, gemessen an der Bevölkerungszahl von 9,2 Millionen, mit über 3100 neuen „Fällen“ pro Tag an die Spitze der westlichen Welt. Bereits im Juli hatte Netanjahu bei einer Pressekonferenz die Vermutung geäußert, die vielen Ansteckungen seien auf "zu frühe" Lockerungen der Corona-Maßnahmen zurückzuführen. Das Land stecke "mitten in einem weltweiten Sturm. Wir befinden uns inmitten einer zweiten Welle."


Wo bleiben die Beweise, Bibi?


Zwingende Argumente dafür, dass Israels Lockdown-Antwort auf die „erste Welle“ notwendig und effektiv war, blieb Netanjahu indes schuldig. Mitte März, bei Beginn des drakonischen „Seuchenschutzes“, hatte das Land noch KEINEN EINZIGEN Covid-19-Todesfall verzeichnet. Hingegen STIEG die Sterberate von der dritten Lockdown-Woche an kontinuerlich, bis Ende April. Nach Lockdown-Ende, ab Anfang Mai, SANK sie stetig, bis Ende Juni. Seither lag sie in der Regel bei 5 bis 15 Fällen pro Tag – und damit auf dem gleichen Niveau wie gegen Lockdown-Ende im April -, mehr als 23 waren es nie. (Ein plötzlicher Spitzenwert von 71, am 20. August, rührte daher, dass Gesundheitsbehörden im nachhinein zusätzliche Todesfälle einbezogen, aufgrund geänderter Kriterien.) (Siehe Grafik unten: Israels Covid-19-Fälle.)


Einen Lockdown rechtfertigt ebensowenig Israels „Case Fatality Rate“ (CFR) seit Anfang März 2020: das Verhältnis der „bestätigten“ Covid-19-Todesfälle zu den „bestätigten“ SARS-CoV-2-Infektionen. Diese hatte VOR dem Lockdown stets bei oder nahe NULL gelegen. Hingegen stieg der CFR-Wert während der GESAMTEN Lockdown-Phase bis Anfang Mai, und darüber hinaus noch DREI WEITERE WOCHEN, steil an. DANACH halbierte sie sich. Ab Ende Juli verharrte sie bei Werten von 0,7 bis 0,8 % - bis Mitte September. (Siehe beiliegende Grafik: Israels Covid-19-Fälle.)


Wo bleiben also die Beweise, Benjamin?








Nach 70 Tagen wäre der Spuk vorbei - mit oder ohne Lockdown


Wie in Deutschland, so werden auch in Israel kritische Stimmen renommierter Wissenschaftler penetrant überhört. Ende August warnte Professor Mark Last, Direktor des Data Science Research Center der Ben-Gurion-Universität in Be’er Scheva, eindringlich vor einem erneuten Lockdown – er sei unnötig und bringe nichts. „Die perfekte Lösung, um die Pandemie zu stoppen, wäre er dann, wenn man ihn für immer aufrechterhalten kann", so Prof. Last. "Aber jeder Tag ist mit immensen Kosten verbunden. Und der Nutzen wäre sehr kurz, denn nach seinem Ende geht alles weiter wie gehabt, und wir haben wieder mehr Fälle.“ Es führe kein Weg daran vorbei, auf eine sich allmählich entwickelnde Herdenimmunität zu setzen. „Bald sollten wir genug Menschen in der Bevölkerung haben, die irgendwann einmal mit dem Coronavirus infiziert waren, und diese Menschen haben Antikörper“; sie werden „einen Rückgang der täglichen Zahl der Neuinfektionen bewirken“.


Ebenso übergingen Israels oberste Infektionsschützer eine Studie, die der israelische Mathematiker Isaac Ben-Israel bereits Mitte April 2020 veröffentlichte. Wie er statistisch nachwies, erreicht die Covid-19-Epidemie grundsätzlich nach rund 10 Wochen ihr Ende – egal wo sie stattfindet und unabhängig davon, welche Gegenmaßnahmen die Regierungen ergreifen. (5)


Ben-Israel, Professor an der Universität Tel Aviv, gehört dem Nationalen Rat für Forschung und Entwicklung an und leitet die israelische Raumfahrtagentur. Nachdem sein Forscherteam Daten der von SARS-CoV-2 heimgesuchten Länder analysierte, kam es zu dem verblüffenden Schluss: Die Verbreitung des Virus erreicht nach etwa 40 Tagen einen Höhepunkt und klingt nach 70 Tagen nahezu vollständig ab – unabhängig davon, was die jeweiligen Regierungen dagegen unternommen haben. „Es gibt ein konstantes Muster“, erklärte Isaac Ben-Israel in Israels TV-Sender Channel 12, „die Zahlen sprechen für sich selbst. (…) Überraschenderweise ist dieses Muster Staaten gemeinsam, die einen harten Lockdown mit der Paralyse der Wirtschaft umgesetzt haben, aber auch Ländern, die sehr viel zurückhaltendere Maßnahmen ergriffen und das Alltagsleben fortgesetzt haben.“


„Eingeschüchtert und gehirngewaschen“


Behaupten Regierungen nicht stolz, allein der von ihnen durchgesetzte Infektionsschutz - mit Versammlungsverboten, Kontaktbeschränkungen, Schul- und Ladenschließungen, Abstandsregeln und Maskenpflicht - habe die Seuche eingedämmt? Manche reagierten rasch, andere zögerten zunächst. Ben-Israels Analysen legen indes nahe: All die behördlichen Zumutungen, der Entzug von Grundrechten, das Einfrieren öffentlichen Lebens, die Sabotage an der eigenen Wirtschaft sind letztlich für die Katz. Auch ihr Timing spielt keine Rolle. Denn in Ländern wie Schweden und Taiwan, die auf Hygienediktatur weitgehend verzichteten, verlief die Pandemie mitnichten anders. Weder in Stockholm noch in Taipeh stellte sich bei den Infektionsraten jenes „exponentielle Wachstum“ ein, vor dem uns Spahn, Drosten und Wieler monatelang täglich aufs Neue das Fürchten lehrten; auch dort war nach knapp sechs Wochen ein Gipfelpunkt erreicht – und nach rund zehn Wochen war der Spuk schon fast vorbei.


Was weiterhin „wütet“, ist das Panikvirus.


Der ehemalige israelische Gesundheitsminister Professor Yoram Lass hält die Lockdown-Maßnahmen für “völlig unverhältnismäßig”. Covid-19 sei vergleichbar mit einer Grippe-Epidemie und hätte niemals eine solche politische Zerstörung von Existenzen gerechtfertigt. Man habe die Menschen eingeschüchtert und “gehirngewaschen”. Die Ausgangssperren würden mehr Menschen töten als das Virus. “Die Zahlen begründen keine Panik.” (6) Aber was kümmert das schon passionierte Seuchenschützer 2020?


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