Über 11.000 Bürger wollen dem Robert-Koch-Institut helfen, „Verdächtige einzuordnen“. Ihr Eifer weckt beklemmende Assoziationen.
Kalt den Rücken hinunter läuft es Geschichtsbewussten, wenn sie diese Erfolgsmeldung des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf sich wirken lassen: Kaum hatte es nach ehrenamtlichen Vollzeithelfern „mit ausgeprägter Motivation“ suchen lassen, da meldeten sich an einem einzigen Wochenende über 11.000 Freiwillige. So einen Riesenandrang habe man noch nie erlebt, staunten ein „begeistertes“, ja „überwältigtes“ RKI sowie das Bundesverwaltungsamt, das die Stellen ausgeschrieben hatte. (1) Hätte das RKI die Personalsuche nicht nach drei Tagen eingestellt – womöglich wären Hunderttausende Schlange gestanden. Wofür eigentlich?
Es winken Einsätze als sogenannte „Containment Scouts“ für Gesundheitsämter, was Google mit „Eindämmungspfadfinder“ übersetzt. Aha. Und deren Job besteht worin genau?
„Scouts“, so erläutert das RKI, sollen „Covid-19-Patienten zu möglichen Kontaktpersonen“ telefonisch befragen, diese „kontaktieren und einordnen“. Darüber hinaus fallen „sonstige Aufgaben im Rahmen der Kontaktpersonennachverfolgung und des Kontaktpersonenmanagements“ an, „unter anderem Falleingabe in entsprechende Software“.
Dieses Stellenprofil ist schwammig, also ausbaufähig. Weshalb sollten „Personennachverfolger“, zumal „ausgeprägt motivierte“, bloß ein bisschen herumtelefonieren? Sie könnten doch laufend vor Ort nach dem Rechten sehen; die Bereitschaft von Zielpersonen erkunden, sich testen, impfen und behandeln zu lassen; Kontaktpersonen erschnüffeln; Verdächtigen unauffällig folgen; die strikte Einhaltung von Quarantäneauflagen überwachen, auch unangemeldet; Widerspenstige an Regelverletzungen hindern, damit sie nicht, unabsichtlich oder böswillig, weitere „Infektionsketten“ auslösen; bei Verstößen fotografische und filmische Beweismittel sichern; irgendwann auch Impfnachweise kontrollieren; Abweichler jeglicher Art bei Polizei, Gesundheits- und Ordnungsämtern anschwärzen. Wieso eigentlich nicht? Muss „Eindämmern“ nicht jegliche Art von Gefahrenabwehr erlaubt sein, sobald Notstand herrscht, weil es „um Leben und Tod geht“ (NRW-Ministerpräsident Armin Laschet)?
Für eine solche Corona-Bürgerwehr gab Dänemarks Parlament Mitte März grünes Licht – mit den Stimmen aller Fraktionen (s. unser Post vom 21. März). Erst einmal angeheuert und eingewiesen, könnten solche „Scouts“ weitere Sicherheitsdienste übernehmen, für welche der Polizei das Personal fehlt – ähnlich wie heute bereits private Auftragnehmer mithelfen, an Parksünder Knöllchen zu verteilen oder Raser zu überführen. Warum sollten „Containment Scouts“ nicht überprüfen, ob jedermann zu Ortungszwecken stets sein Handy mit sich führt, und zwar durchgängig eingeschaltet, mit installierter Tracking-App? In der Volksrepublik China ist dies bereits Pflicht – warum nicht auch bei uns? „Das ist totalitär, aber auch sehr effektiv“, meint das Digital Society Institute in Berlin. (2)
Warum sollten „Scouts“ nicht die Zugangskontrolle zu öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln übernehmen, ja zu Plätzen und Räumlichkeiten jeglicher Art, an denen mehr als zwei fremde, potentiell infektiöse Menschen zusammenkommen? Eintritt nur bei Stempel im Impfpass! Warum sollten ehrenamtliche „Eindämmer“ nicht mittels Thermometer und Virenschnelltest gleich an Ort und Stelle für Klarheit sorgen? Warum sollten sich technisch Versierte nicht eine Sondereinheit bilden, die defekte Überwachungskameras und abgestürzte Drohnen ruckzuck wieder instandsetzt? Warum sollten „Containment Scouts“ nicht mithelfen, die seuchenartige Verbreitung von Fake News einzudämmen – indem sie Verdächtige in deren Social-Media-Accounts, Blogs und Homepages bespitzeln, dort Contra geben, auf wirklich seriöse, vom Wahrheitsministerium nach Faktencheck freigeschaltete Quellen hinweisen und per Screenshots Beweise dafür sichern, dass da jemand subversiv die staatliche Aufklärung zu hintertreiben trachtet? Nebenbei dürfte so ein Projekt auch der psychischen Volksgesundheit zugute kommen: Wer im „Scouting“ endlich eine sinnvolle, erfüllende, beglückende Lebensaufgabe findet, kommt womöglich ohne Psychotherapie aus und kann seine Antidepressiva absetzen.
Vorbilder gibt es. Bürgerwehren, als ehrenamtliche „Sicherheitswacht“, entstanden an vielen Orten nach den massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln in der Silvesternacht 2015/16. Binnen anderthalb Monaten bildeten sich allein in Niedersachsen spontan 31. Viele wurden daraufhin von der örtlichen Polizei beauftragt, Streife zu laufen und nach dem Rechten zu sehen; dafür stattete sie die Sicherheitswächter sogar mit besonderen Uniformen, Funkgeräten und Pfefferspray aus.
Zwar kommen Bürgerwehren juristisch keine besonderen Befugnisse zu – aber sobald der „Krieg“ gegen einen unsichtbaren, allgegenwärtigen Feind beginnt, Notstand herrscht und Infektionsschutzgesetze selbst die elementarsten verfassungsmäßigen Grundrechte aushebeln können, lässt sich natürlich auch der Status freiwilliger Helfer aufwerten.
Faktisch, noch ohne offiziellen Auftrag und vorerst unorganisiert, sind solche Bürgerwehren in der Corona-Krise längst im Einsatz – schnüffelnd, pöbelnd, denunzierend. „Für den Fall einer Ausgangssperre in Deutschland müssten sich die Behörden über die Durchsetzung keinen Kopf machen“, kommentiert der taz-journalist Tobias Schulze treffend. „Eine Armada von Hobby-Epidemiologen stünde bereit, um den Gesundheitsämtern Verstöße gegen das Ausgangsverbot zu melden. Die antiviröse Bürgerwehr hat ihre Arbeit präventiv ja schon aufgenommen: Auf Facebook und Twitter ereifert sich ein digitaler Mob über Menschen, die trotz der Corona-Krise gelegentlich ihr Zuhause verlassen und Freizeit unter freiem Himmel verbringen. Die Social-Distance-Army gefällt sich in Belehrungen, Beleidigungen und Befehlston – und hat dabei jedes Gefühl für Umgangston und Verhältnismäßigkeit verloren.”
Wie weit ist es von hier aus noch bis zu den „informellen Mitarbeitern“ der Stasi, zu den Spitzelnetzwerken von SS und Gestapo, zu Chinas bezahlten Denunzianten im Rahmen seines „Sozialkredit“-Punktesystems? Selbst wenn demnächst der Anschein eines freiheitlich-demokratischen Alltags zurückkehren sollte: Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Sie könnte pathogener sein. Sie könnte tödlicher sein. Sie könnte länger dauern. Womöglich hört sie gar nicht mehr auf. Wer würde davon profitieren? Die Corona-Krise 2020 beschert ihm einen höchst aufschlussreichen Feldversuch, der ihm hilft, den nächsten Anlauf zu optimieren.
Wie groß wäre der künftige Rückhalt einer solchen Schnüffeltruppe in der Bevölkerung? Wie viele Bürger würden deren Treiben billigend in Kauf nehmen - oder gar aktiv mitmachen? Die Stasi hatte es bis 1989 auf 91.000 hauptamtliche und bis zu 190.000 „informelle“ Mitarbeiter gebracht: rund 1,6 % aller DDR-Einwohner. Bei einem totalitären Regime hingegen, das Krieg gegen eine „Jahrhundert-Pandemie“ führt, tippe ich auf weitaus mehr. 95 % aller Bundesbürger finden, laut ZDF-„Politbarometer“, die staatlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus „gerade richtig“ oder fordern gar, sie „müssten noch härter ausfallen“; ebenso viele bewerten die geltenden Ausgangs-/Kontaktbeschränkungen als „angemessen“. 89 % bescheinigen der Regierung „ gute Arbeit“. Wie wird aus einer zeitweiligen faschistoiden Hygienediktatur, die sich auf derart traumhafte Zustimmungsquoten stützen kann, eine dauerhafte? Indem sie die Urängste, die sie erfolgreich geschürt hat, wach hält. Dafür eignen sich unsichtbare Bedrohungen, über deren Ausmaß und Abwehr nur Experten Bescheid wissen, geradezu perfekt. Es genügt ein Virus, das nur besiegt SCHEINT, tatsächlich aber, einer tickenden Zeitbombe gleich, weiter in uns schlummert; ein Virus, das die Welt nie mehr los wird; ein Virus, das demnächst womöglich in einer weiteren "Welle“ über uns hereinbricht; ein Virus, das sich tatsächlich nur durch fortdauerndes, strikt befolgtes „Social Distancing“, einschließlich Versammlungsverboten, und regelmäßig wiederholte Impfungen eindämmen lässt. Andernfalls rottet der Killerkeim die Risikogruppen samt unserer Oma aus, und wer will daran schon mitschuldig sein?
Wem es gelingt, mit Hilfe der Heiligen Kuh Wissenschaft ein solches Horrorszenario „evidenzbasiert“ aufrechtzuerhalten, der darf sich geradezu nordkoreanischer Mehrheitsverhältnisse sicher sein: einer Neun-Zehntel-Mehrheit von braven, uneingeschränkt kooperativen, allzeit wachsamen Bürgern, innig vereint im Endlosprojekt „Wir gegen das Virus“. Diese düsteren Aussichten hat die Zeitenwende namens „Corona-Krise“ jedem, der sehen will, überdeutlich vor Augen geführt.
Harald Wiesendanger
Anmerkungen
(1) Zur Stellenausschreibung des Robert-Koch-Instituts und der Resonanz darauf:
https://www.rki.de/DE/Content/Service/Stellen/Containement_Scout.html; https://www.tbd.community/de/j/robert-koch-institut-containment-scouts;
https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-rieseninteresse-an-rki-ausschreibung-11-000.1939.de.html?drn:news_id=1113797
(2) https://www.welt.de/wirtschaft/plus207019245/Sandro-Gaycken-Das-ist-totalitaer-aber-es-war-auch-sehr-effektiv.html; https://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article207266597/Corona-Apps-Oekonom-Ockenfels-raet-zu-Zwangsinstallation.html)
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