Als dreiste Abzocke kritisieren Verbraucherschützer die jüngste Masche von Lebensmittelkonzernen: spezielle „High-Protein“-Produkte. Sie sind ebenso überflüssig wie überteuert.
Protein-Pudding, Protein-Frischkäse, Protein-Müsli, Protein-Brot: Als besonders eiweißreich vermarktete Lebensmittel sind in Supermärkten zu Kassenschlagern geworden. Plötzlich wimmelt es davon: Die Produktpalette reicht von Cornflakes über Milch, pflanzlichen Milchalternativen und Shakes über Chips und Schokoriegel bis hin zu eiweißhaltigem Wasser. Dabei lassen sich Kunden massenhaft für dumm verkaufen, kritisiert Foodwatch, ein 2002 gegründeter gemeinnütziger Verein, der „die verbraucherfeindlichen Praktiken der Lebensmittelindustrie entlarven” will und “für das Recht auf gute, gesunde und ehrliche Lebensmittel kämpft”. Er findet deutlichste Worte: „Was bei Dr. Oetker, Ehrmann und Co. die Kassen klingeln lässt, ist aus Verbrauchersicht dreiste Abzocke.”
Zweifellos “high” ist bei diesen Produkten der Preis: Allesamt kosten sie erheblich mehr als herkömmliche Vergleichsartikel. Für das "Protein Müsli" von Seitenbacher ist demnach 86 Prozent mehr zu bezahlen als für dessen "Fitness Müsli". Das Eiweiß-Brot von Mestemacher ist 145 Prozent teurer als ein vergleichbares Brot. Der "High Protein Vanille Pudding" von Dr. Oetker kostet sogar dreimal mehr als ein herkömmlicher Pudding derselben Marke.
"Der Protein-Hype ist eine Gelddruckmaschine für Lebensmittelhersteller", so prangert Laura Knauf an, Campaignerin bei Foodwatch. Denn bei der Lebensmittelproduktion Protein zuzusetzen, ist spottbillig: In der Regel verwenden Hersteller dafür Molkeneiweiß - ein Abfallprodukt der Käseherstellung, das ansonsten oft zu Tierfutter verarbeitet wird.
Dass angereicherte “Hochprotein”-Produkte ein exklusives Gesundheitsplus bieten, ist hanebüchene Bauernfängerei. Eher glänzt auch diese Warengruppe mit reichlich Industriezucker oder Kochsalz, minderwertigen Fetten, künstlichen Aromen und Geschmacksverstärkern, Farb- und Konservierungsstoffen, Phosphaten, Antioxidantien, Emulgatoren und weiteren bedenklichen Chemikalien. Die enthaltenen Eiweiße sind häufig stark denaturiert.
Für dumm verkauft
Keine Frage, Proteine sind lebensnotwendig – so viel, aber auch nicht viel mehr, weiß selbst der dümmste Otto unter den Normalverbrauchern. 10 bis 15 Prozent der Kalorien, die wir zu uns nehmen, sollten aus Eiweiß stammen. Unser Körper benötigt es für den Aufbau und die Reparatur von Zellen, Enzymen und Hormonen, für das Immunsystem, für die Übertragung von Nervenimpulsen, für den Transport von Sauerstoff und Fetten, für den Aufbau von Kollagen, Antikörpern, Gerinnungsfaktoren undsoweiter, aber auch als Energielieferant.
Ein künstlich erhöhter Eiweiß-Anteil ist für eine gesunde Ernährung allerdings fast so überflüssig wie ein H2O-Zusatz zu Wasser. “Ein breites Spektrum natürlicher Lebensmittel ganz ohne Zusatzstoffe ist die beste Wahl, um den körpereigenen Proteinbedarf zu decken", erklärt der Ernährungsexperte Ingo Froböse von der Kölner Sporthochschule. (1) Das gelingt mit wenig Aufwand: 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht und Tag empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Wer 70 Kilogramm wiegt, sollte entsprechend 56 Gramm Proteine zu sich nehmen. Das ist ziemlich rasch zu erreichen: 100 Gramm Hanfsamen, Sojabohnen, Raps oder Lupine weisen einen Eiweißgehalt von 30 bis 40 Gramm auf; 100 Gramm Hühnerbrust liefern 27 Gramm Proteine; 26 Gramm Eiweiß stecken in 100 Gramm Erdnüssen; 100 Gramm Haferflocken bieten zwölf Gramm Eiweiß und 100 Gramm Naturjoghurt zehn Gramm. Auch Samen, Pilze, Hülsenfrüchte – wie Linsen, Erbsen und Ackerbohnen – und Eier sind ergiebige Proteinlieferanten.
Ohnehin konsumieren Deutsche eher zuviel Protein als zuwenig – und nicht unbedingt aus empfehlenswertesten Quellen. Darauf deutet eine Studie im Auftrag des Bundesernährungsministeriums hin. (2) Die größte Menge nehmen sie zu sich über Fleisch, Milch, Käse und deren Erzeugnisse. Überschüssiges tierisches Protein lagert der Körper aber in das Bindegewebe und die Blutgefäße ein. Dies fördert vielerlei Krankheiten wie Arteriosklerose, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Rheuma, Gicht, Angina pectoris, Typ-2-Diabetes, Stoffwechslstörungen, Nierenentzündung und Autoimmunkrankheiten.
Überaus gesund ist Extra-Eiweiß demnach in erster Linie für die Bilanzen der Lebensmittelkonzerne. Wer ihnen den Gefallen tut, den vermeintlichen Mehrwert teuer zu bezahlen, verdient eher begrenztes Mitleid, wenn sich das Loch in der Haushaltskasse deswegen vergrößert.
Vom irren Protein-Hype fühlt sich mancher Cineast unwillkürlich an “Idiocracy” erinnert, eine bitterböse Science Fiction-Komödie: In der völlig verblödeten Gesellschaft des Jahres 2505 weiß keiner so recht, was Elektrolyte sind – aber jedermann hält sie für äußerst gesund. Und deshalb nehmen alle statt Wasser den grünen Softdrink Brawndo zu sich. Ja, Brawndo ersetzt herkömmliches Wasser überall, mit Ausnahme der Klospülungen. Sogar ihre Felder bewässern unsere Nachfahren damit, weil laut Werbespruch “in Brawndo steckt, was Pflanzen schmeckt – es enthält Elektrolyte!“
Anmerkungen
1 Zit. nach Foodwatch, https://www.foodwatch.org/de/teuer-und-unnoetig-foodwatch-marktcheck-zum-hype-um-protein-lebensmittel
2 https://www.mri.bund.de/fileadmin/MRI/Institute/EV/NVSII_Abschlussbericht_Teil_2.pdf , ib. S. 103 f.
Comments