Was 2006 in einer Klinik in New Hampshire geschah, hat selbstverständlich rein gar nichts mit der Corona-Welt 2020 ff. zu tun.
Eine Seuche herbeitesten? Unmöglich. Ein Hirngespinst von wodargisierten, bhaktifizierten Covidioten.
Unmöglich? Fragen wir nach bei der Ärztin Dr. Brooke Herndon, Internistin am Dartmouth-Hitchcock Medical Center in Lebanon, US-Bundesstaat New Hampshire. „Hitchcock“? Der Name passt auf die Ereigniskette, deren erstes Glied sie war. Und das kam folgendermaßen.
Mitte April 2006 begann Dr. Herndon, eine Spezialistin für Infektionskrankheiten, zu husten. Sie hustete und hustete unentwegt, zwei Wochen lang. Anschließend tat sie es sporadisch eine weitere Woche lang.
Ende April fingen weitere Mitarbeiter der Klinik zu husten an.
Schwerer, hartnäckiger Husten ist ein Merkmal von Keuchhusten. Lag er tatsächlich vor, so musste die beginnende Epidemie sofort eingedämmt werden. Denn für Babies im Krankenhaus ist die Krankheit potentiell tödlich. Bei älteren, immunschwachen und vorerkrankten Patienten kann sie zu Lungenentzündung führen.
So begann die bizarrste Episode in der 127-jährigen Geschichte des Dartmouth-Hitchcock Center: das vermeintliche Wüten einer Epidemie, die es nie gab.
Monatelang waren alle Beteiligten der festen Überzeugung, die Klinik sei Epizentrum eines bedrohlichen Keuchhustenausbruchs, der außer Kontrolle zu geraten droht, mit schlimmen Folgen für die 14.000 Einwohner von Lebanon, für die Bevölkerung in der näheren Umgebung und womöglich weit darüber hinaus. Fast 1000 Mitarbeiter der Klinik mussten sich einem PCR-Test unterziehen. Bis die Ergebnisse vorlagen, wurden sie beurlaubt.
142 Personen, darunter auch Dr. Herndon, erhielten schließlich die Nachricht: Der Test bestätige, dass sie sich tatsächlich Keuchhusten eingefangen haben. 1.445 Beschäftigte erhielten daraufhin Antibiotika, 4.524 einen Impfstoff. Krankenhausbetten wurden außer Betrieb genommen, einige davon auf der Intensivstation.
„Hätten wir an diesem Punkt aufgehört, so wären wir uns wohl alle einig gewesen, dass wir hier einen Ausbruch von Keuchhusten hatten - und dass wir ihn unter Kontrolle gebracht haben", sagt Dr. Kathryn Kirkland, eine Infektiologin am Dartmouth-Hitchcock Center.
Aber die Geschichte geht noch weiter.
„Wir dachten: Warum überprüfen wir die Sache nicht mit serologischen Tests?“, so Dr. Kirkland. „Nach einer Pertussis-Infektion sollte eine Person auf jeden Fall Antikörper gegen das Bakterium entwickeln."
Blutproben von 39 mutmaßlich Infizierten sandte die Klinik an die US-Gesundheitsbehörde CDC, die Centers for Disease Control and Prevention. (Alle übrigen positiv PCR-Getesteten hatten bereits den Impfstoff erhalten, der die Bildung von Pertussis-Antikörper auslöst.)
Acht weitere Monate vergingen.
Dann endlich bekamen die Mitarbeiter Post von der Klinikverwaltung: Oops, ähm, sorry - das Ganze habe sich als Fehlalarm herausgestellt. In keinem einzigen Fall bestätigte sich ein Keuchhustenverdacht, nachdem die eingesammelten Proben daraufhin untersucht wurden, ob sich aus ihnen der vermutete Erreger anzüchten ließ: das Bakterium Bordetella pertussis.
Aber was war dann im Frühjahr 2006 mit dem Klinikpersonal los gewesen? Alle angeblich Infizierten hatten sich wohl eine hartnäckige Erkältung oder eine sonstige gewöhnliche Atemwegserkrankung zugezogen.
Am 22. Januar 2007 ließ die New York Times Epidemiologen und Infektiologen auf die Pseudo-Pandemie von Lebanon zurückblicken. Die Experten erklärten: Das Problem habe darin bestanden, dass die Verantwortlichen blind auf den schnellen, hochempfindlichen PCR-Test vertrauten. Er führte sie wohin? In die Irre.
„Es gibt keine nationalen Daten über Pseudoepidemien, die durch eine übermäßige Abhängigkeit von solchen molekularen Tests verursacht werden“, räumte Dr. Trish M. Perl ein, Epidemiologin an der Johns-Hopkins-University und frühere Präsidentin der Society of Health Care Epidemiologists of America. „Aber Pseudoepidemien kommen immer wieder vor. Der Fall von Dartmouth mag einer der größten gewesen sein, er ist jedoch keineswegs eine Ausnahme.“
Im Herbst 2006 sei nach PCR-Tests eine ähnliche Keuchhusten-Angst im Children's Hospital in Boston aufgekommen. Beteiligt waren damals 36 Erwachsene und 2 Kinder. Bei endgültigen Tests wurde jedoch keine Keuchhustenerkrankung festgestellt.
"Es ist ein Problem. Wir wissen, dass es ein Problem ist", sagt Dr. Perl. "Meine Vermutung ist, dass das, was in Dartmouth passiert ist, häufiger vorkommt."
„Viele der neuen molekularen Tests sind schnell, aber technisch anspruchsvoll, und jedes Labor kann sie auf seine eigene Weise durchführen“, kommentiert die New York Times. „Gerade ihre Empfindlichkeit macht falsch-positive Ergebnisse wahrscheinlich, und wenn Hunderte oder Tausende von Menschen getestet werden, wie in Dartmouth geschehen, können falsch-positive Ergebnisse den Anschein einer Epidemie erwecken.“
Warum verlässt man sich dann überhaupt auf sie?
"Für bare Münze nehmen sollte man sie offenkundig nicht", sagt Dr. Perl. „Aber wenn rasche Antworten benötigt werden und ein Erreger wie das Keuchhustenbakterium schwer in einem Labor zu züchten ist, hat man oft keine großen Möglichkeiten.“
Die Dartmouth-Hitchcock-Episode „verstörend“ zu nennen, sei noch eine Untertreibung, so meint Dr. Elizabeth Talbot, Epidemiologin beim New Hampshire Department of Health and Human Services. Die Vorfälle geben uns „den Hauch einer Ahnung“ davon, wie eine Fake-Seuche in Gang kommen könnte. „Einer der beunruhigendsten Aspekte der Pseudoepidemie von Dartmouth war es, dass alle Entscheidungen damals so vernünftig erschienen.“
Und die Moral von der Geschichte: Es kann nicht schaden, Zeitungsausschnitte aufzubewahren, selbst wenn sie über 13 Jahre alt sind. Man kann ja nie wissen, welche Déjà-vus sie einem irgendwann womöglich noch verschaffen.
Harald Wiesendanger
Bildausschnitt Dartmouth-Hitchcock Medical Center: By Jared C. Benedict - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=89501025
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