Wenn Richter am 28. August entscheiden, ob das „Fest für Freiheit und Frieden“
tags darauf die Volksgesundheit gefährdet, können sie sich auf „vertrauenswürdige Quellen“ stützen: Amtliche Statistiken belegen, dass der Berliner „Tag der Freiheit“ am 1. August weder Arztpraxen noch Krankenhäuser noch Intensivstationen noch Friedhöfe gefüllt hat. Ein Verbot wäre unverhältnismäßig - was sonst?
Darf der Staat die Großdemonstration am 29. August 2020 in Berlin verbieten, weil er zurecht befürchtet, dass dort massenhaft gegen Hygieneregeln verstoßen wird? Falls sie stattfindet: Darf er sie auflösen, sobald sich seine Befürchtung bewahrheitet?
Ich kenne keinen einzigen „Corona-Leugner“, dem nicht einleuchtet: WÜRDE momentan ein echter Killerkeim über die Menschheit herfallen – einer wie die Pest oder Ebola, Hanta oder Lassa -, so ginge Gesundheit vor Versammlungsfreiheit. Jede Wette, selbst ein Michael Ballweg, ein Ken Jebsen würde dann mindestens 1,5 Meter Abstand halten. Jeder trüge eine FFP3-Maske. Kein Bhakdi würde mit einem Buchtitel wie „Fehlalarm“ einen Bestseller landen. Jeder verstünde und befolgte Lockdowns, Quarantänen, Tracings. GÄBE es eine wahrhaftige Pandemie, die für Abermillionen Schwerkranke und Tote sorgt, so wäre der Applaus für Hardliner wie Söder und Spahn, Wieler und Geisel ebenso ungeteilt wie verdient. Jede Versammlung, erst recht jede Großdemonstration wäre tatsächlich ein irrwitziges Risiko.
WÄRE die morgige Demo ein solches Risiko, falls ihr die Corona-Verordnung schnurz ist? Innensenator Geisel liegt bestimmt richtig mit seiner Vorahnung: Zu Regelverstößen wird es massenhaft kommen. Aber ist dies verfassungsrechtlich RELEVANT? Von „Infektionsschutz“ steht nichts im Grundgesetz. Nirgendwo steht dort, dass Menschen bloß dann im öffentlichen Raum friedlich zusammenkommen dürfen, wenn sichergestellt ist, dass sich dort niemand mit irgendetwas ansteckt. Eine Infektion ist keine Krankheit. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Füllt eine Infektionswelle so viele Arztpraxen, Intensivstationen und Gräber, dass ein Demonstrationsverbot VERHÄLTNISMÄSSIG wäre?
Geisel hat ja recht: Man muss „abwägen, welches Gefahrenpotenzial für die Gesundheit der Teilnehmer, aber auch für andere Berliner und vor allem für die Polizisten besteht“. Die Richter, die eine solche Abwägung am Vortag vornehmen müssen, befinden sich in einer komfortablen Lage: Sie brauchen nicht über hypothetische schlimme Folgen zu spekulieren. Denn der Schaden ist von vornherein absehbar: Es gibt keinen, zumindest keinen medizinisch fatalen. Um dies festzustellen, brauchen Gerichte bloß einer einzigen Frage nachzugehen: Hat denn die vorausgegangene Demo vom 1. August Schreckliches angerichtet? Beeinträchtigte es die Volksgesundheit, dass mindestens Zehntausende einen halben Tag lang, dicht an dicht gedrängt, einander Tröpfchen und Aerosole voller Viren ins nackte Antlitz hauchten – und daraufhin unzählige suspekte Infektionsketten in Gang setzten? Haben sich in den vier Wochen, die seither vergangen sind, Schwarzmalereien im geringsten bewahrheitet?
Dazu brauchen die Richter bloß sogenannte „vertrauenswürdige Quellen“ heranzuziehen: vom Robert-Koch-Institut (RKI) sowie von Statistik- und Gesundheitsämtern. Was für sie dabei zum Vorschein käme, steht in krassestem Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen, mit denen Alarmisten aus Politik und Medien routinemäßig das Land verstören.
Am Berliner "Tag der Freiheit" nahmen gewiss nicht bloß Zugereiste teil, sondern Tausende, wenn nicht Hunderttausende, die in Berlin wohnen. Was richteten diese „Covidioten“ seither an? Laut RKI trieben sich in der Bundeshauptstadt pro 100.000 Einwohner in der vorletzten Augustwoche 5,8 positiv Geteste mehr herum als in der Vorwoche des „Tags der Freiheit“, Ende Juli. (1, s. Tabelle) Das bedeutet: Wegen einer Handvoll zusätzlicher „Infizierter“, deren Bezug zur Großdemo in keinem einzigen Fall belegt ist, endet das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit?
Kein politisch Verantwortlicher, kein Wieler, kein Drosten erklärt dem Volk, dass mehr Infizierte allein schon deswegen auffallen müssen, weil immer öfter getestet wird. In Berlin führten in der vorletzten Aprilwoche, der ersten vom RKI in einer wöchentlichen „Surveillance“ erfassten, knapp 12.500 Labore, Krankenhäuser und Arztpraxen rund 630.000 PCR-Tests auf SARS-CoV-2 durch; in der ersten Augustwoche lieferten rund 22.000 Zentren fast 4,5 Millionen Testergebnisse.
Und warum schweigt Wieler bei öffentlichen Auftritten beharrlich über jene Zahl, auf die es beim Bewerten des Infektionsgeschehens am allermeisten ankommt: die „Positivenrate“, d.h. der Anteil Infizierter an sämtlichen Getesteten? Dieser Wert ist seit Ende April gravierend gesunken, kontinuierlich: von 8,3 auf 2,4 %. Und ja, auch SEIT dem 1. August hält dieser Trend an. (2)
Wie viele Patienten mit positivem SARS-CoV-2-Test füllten seither Berliner Krankenhäuser? Am 1. August wurden dort 45 stationär behandelt - am 27. August waren es 46. (3, s. Tabelle)
Wie viele davon mussten auf die Intensivstation verlegt werden? Dort lagen am 1. August 14 „Corona-Infizierte“ – am 27. August waren es 21. (3, s. Tabelle)
Wie viele davon, bitteschön, waren am „Tag der Freiheit“ mitmarschiert, wobei sie anderen Teilnehmern unmaskiert auf die Pelle rückten? Wie viele waren Demonstranten zu nahe gekommen? Hätten Berliner Gesundheitsbehörden dies nicht sorgfältigst nachverfolgen und publizieren müssen, inmitten einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“?
Alles in allem scheint SARS-CoV-2 in Berlin bislang sogar eher Leben gerettet als gekostet zu haben. Darauf deuten zumindest erfreuliche Zahlen aus dem Berliner Amt für Statistik hin. Demnach starben dieses Jahr bis Mitte Mai, also einschließlich dreier Pandemiemonate, in Berlin 706 Personen WENIGER als im selben Zeitraum 2019 – ein Rückgang von 5 %. (4, s. Abb.) Im Juni 2020, dem jüngsten ausgewerteten Monat, gingen beim Statistikamt deutlich WENIGER tägliche Sterbefallmeldungen ein als im Juni 2019. (5, s. Abb.) Setzt sich dieser Trend fort, dann platzt die Bundeshauptstadt bald aus allen Nähten, weil keiner mehr wegsterben mag. Wahrlich, „Corona ist viel gefährlicher als angenommen“, wie zumindest Medizin-Nobelpreisträger Markus Söder soeben auffiel. (6)
Was übrigens „die Gefahr für die Polizisten“ betrifft, um die sich Innensenator Geisel ganz arg sorgt: Am besten, er erkundigt sich nach dem Schicksal jener 36 Polizisten, die vor einem Vierteljahr in einer Mainzer Altstadtkneipe eine feuchtfröhliche Party feierten. (7) Maske trug keiner. Die Sicherheitsabstände lagen eher im Zentimeterbereich. Meine Nachfrage beim Mainzer Polizeipräsidium ergab soeben verblüffenderweise: Alle leben immer noch. Und alle sind wohlauf. Keiner wurde krank. Von tödlich endenden Infektionsketten ist nichts bekannt.
Harald Wiesendanger
Anmerkungen
(1) Siehe nachfolgende Tabelle, nach den täglichen „Covid-19-.Lageberichten des Robert-Koch-Instituts, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, zuletzt abgerufen am 28.8.2020.
(2) Siehe nachfolgende Tabelle, laut der wöchentlichen „SARS-CoV2-Surveillance“ des Robert-Koch-Instituts (https://ars.rki.de/Content/COVID19/Main.aspx, abgerufen am 28.8.2020.
(3) https://www.berlin.de/corona/fallstatistik/, abgerufen am 28.8.2020; s. auch https://www.intensivregister.de/#/intensivregister?tab=laendertabelle,
(4) https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/pms/2020/20-06-10.pdf, abgerufen am 9.8.2020.
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