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Dr. Harald Wiesendanger

Psychiatrie? Wie ich zum Zweifler wurde

Aktualisiert: 12. Sept. 2021

Falls uns eine sogenannte „psychische Störung“ ereilt: Sind wir dann am besten bei Psychiatern aufgehoben? Bestürzende Vorgeschichten, die Hunderte von seelisch Belasteten in die Therapiecamps meiner Stiftung Auswege mitbringen, wecken Zweifel daran.


Erst in den „Auswege“-Camps - geduldig, aufmerksam und liebevoll betreut von empathischen Psychoamateuren - finden die meisten seelisch Belasteten, worauf sie zuvor in Arztpraxen und Kliniken jahre-, manchmal jahrzehntelang vergeblich gehofft hatten: wirkungsvolle Hilfe, die nicht bloß Symptomträgern mit „zerebralen Stoffwechselstörungen“ gilt, sondern ganzen Personen mit Geist und Seele. Warum hatte ihnen die Schulmedizin im wesentlichen bloß Bezugsscheine für synthetische Drogen zu bieten? Weil das Lehrgebäude der Psychiatrie auf zwölf Märchen aufbaut, die sie von der Propagandamaschine der Pharmaindustrie übernimmt und an Hilfesuchende weiterreicht. Übergroßer Respekt vor der Autorität des ­Doktors und „der Wissenschaft“, auf die er sich beruft, hindert Patienten und ihre Angehörigen daran, die richtigen Fragen zu stellen. Mein Buch Unheilkunde tut es für sie.

Wie ich zum Zweifler wurde


Nein, ich bin kein Psychiater. Und noch nie habe ich einen in Anspruch genommen. Von daher brachte ich diesem Berufsstand jahrzehntelang einen eher emotionslosen, von wenig Vorbehalten getrübten Respekt entgegen, geprägt durch mein Psychologiestudium. Mit der breiten Öffentlichkeit teilte ich ein paar Überzeugungen, die mir selbstverständlich vorkamen: „Psychiatrie ist jenes Teilgebiet der Medizin, das sich auf wissenschaftlicher Grundlage mit psychischen Störungen befasst. Solche Erkrankungen kann sie zuverlässig erkennen, einleuchtend erklären und wirksam behandeln. Vor allem in schweren Fällen ist sie beratender Psychologie und Psychotherapie deutlich überlegen, erst recht jeglicher Laienhilfe.“


Und so beunruhigte mich nicht weiter, dass in manchen westlichen Industrieländern bereits jeder zehnte Erwachsene, und über fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen, Psychopharmaka schlucken. Tendenz: steigend. Rund dreieinhalb Millionen Deutsche tun es, unter ihnen fast alle jener 800.000, die jedes Jahr stationär in psychiatrische Einrichtungen geraten, wie auch die meisten Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Ob gegen Äng­ste, Niedergeschlagenheit oder Antriebsschwäche, gegen Unruhe, Unkonzentriertheit oder Schlafstörungen, gegen Aggressivität oder Wahnvorstellungen: In jedem Fall helfe Pharmazie am besten, wird uns versichert. Und wir glauben es. Unsere Ärzte kennen sich doch bestimmt aus, ihnen vertrauen wir.


Reichlich Gelegenheit, all dies zu überdenken, verdanke ich einer Stiftung namens „Auswege“, die ich 2005 ins Leben rief und seither leite. Ihr Name ist Programm: Chronisch Kranken, die aus schulmedizinischer Sicht als behandlungsresistent gelten, versucht sie therapeutische Auswege zu eröffnen – in unkonventionellen Heilweisen, von Akupunktur über Homöopathie bis hin zu Meditation, Energetischer Massage, Bioresonanz und Geistigem Heilen. Dazu berät sie Hilfesuchende, vermittelt ihnen ausgewählte Therapeuten – und veranstaltet alljährlich mehrere einwöchige Therapiecamps. 27 fanden zwischen 2007 und 2017 statt.


Jeweils bis zu 20 Helfer sind dort ehrenamtlich im Einsatz. Was sind das für Leute? Kaum einer kann ein Psychologie- oder Medizinstudium vorweisen, geschweige denn eine Weiterbildung zum Psychotherapeuten oder Facharzt für Psychiatrie. Sie kommen aus erlernten Berufen wie Dreher, Steuerfachgehilfin, Zahnarzthelferin, Gymnasiallehrer, Finanzberater oder Wirtschaftsingenieur. Bei jedem Camp zählen ein halbes Dutzend Geistheiler dazu, neben spirituellen Lebensberatern und Coaches, Meditationslehrern, Musik-, Klang- und Ergotherapeuten, Erziehern, ein bis zwei Heilpraktikern. Nur ausnahmsweise ist ein Psychotherapeut dabei. Zwar wirkt meistens auch ein Arzt mit, allerdings aus der „falschen“ Fachrichtung: Allgemeinmedizin oder Radiologie.


Neun Tage lang kümmert sich dieser bunte Haufen von Psychoamateuren um durchschnittlich 20 Patienten und mitgereiste Eltern, Lebensgefährten, Geschwister; rund 1200 waren es bis zum Jahr 2021, unter ihnen knapp 600 Patienten. Jeder vierte Hilfesuchende bringt die Diagnose einer psychischen Erkrankung mit: von Autismus, ADHS und anderen Verhaltensstörungen über Depressionen und Phobien bis hin zu Zwängen. Es finden Angstgeplagte, Ausgebrannte und Traumatisierte dorthin, gelegentlich sogar mutmaßlich Schizophrene. Und wenngleich bei den übrigen Teilnehmern körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen, kommen auch sie zumeist seelisch schwer angeschlagen an, ebenso wie ein Großteil ihrer Angehörigen, die ständige Sorge und Fürsorge bedrücken.


Lange Gespräche während der „Auswege“-Camps, wie auch die eingereichten Befundberichte, verschafften mir tiefe Einblicke in Hunderte von bewegenden, oft geradezu erschütternden Lebensgeschichten, geprägt von bezeichnenden Begegnungen mit der modernen Psychiatrie. Ausnahmslos waren sie unergiebig verlaufen, ja vielfach niederschmetternd. Trotz psychiatrischer Beratung, trotz Psychopharmaka, trotz wochen- und monatelanger Klinikaufenthalte ging es nahezu allen Betroffenen hinterher eher schlech­ter als zuvor. (Eine kleine Auswahl von Patientenschicksalen stellt Band 10 meiner Schriftenreihe „Psycholügen“ vor, unter dem Titel Der Psychofalle entkommen. Wie psychisch Belastete einen Ausweg fanden - ohne professionelle Seelenhelfer und Chemikalien (2018).)


Wie wirkten sich die Bemühungen der Laienhelfer in solchen vermeintlich therapieresistenten Fällen aus? Wieviel erreichten sie ohne wissenschaftliche Theorien und Techniken, allein mit reichlich Geduld, Aufmerksamkeit, liebevoller Zuwendung, geschickter Gesprächsführung, Intuition, Lebenserfahrung, Weisheit und Empathie? Was ich vor Ort miterlebte, übertraf jedes Mal meine kühnsten Erwartungen: Bis zum Ende einer Campwoche ging es über 90 Prozent der psychisch Belasteten besser als je zuvor in der Obhut von professionellen Seelenheilkundigen. Und das, obwohl keinerlei Medikamente zum Einsatz kamen. Die erzielten Fortschritte bestätigten die Teilnehmer selbst in Fragebögen und Tagebüchern, wie auch die jeweiligen Campärzte aufgrund von Vor- und Nachkontrollen. Erstaunlich oft hielten die Besserungen anschließend an. Ist es abwegig zu vermuten, dass sogar noch deutlich mehr zu erreichen gewesen wäre - und Erreichtes noch stabiler fortbestanden hätte -, wenn die Hilfesuchenden nicht nach gut einer Woche wieder den Heimweg hätten antreten müssen?


Mit jedem solchen Camp drängten sich mir aufs Neue brennende Fragen auf. Warum verfuhren wissenschaftlich ausgebildete Psychoexperten mit unseren Patienten in einer Weise, die offenkundig unwirksam, belastend und schädlich ist? Weshalb setzen Seelenärzte in erster Linie auf synthetische Chemie? Wie kann es sein, dass sie andere Ansätze, die zweifellos gut tun, geringschätzen, außer Acht lassen und verleumden?


Die Erklärung erfordert, unser Gesundheitswesen aus einer Perspektive zu betrachten, die Patienten eher fremd ist. In ihren Augen handelt es sich um ein Versorgungssystem, das dazu dient, ihre Beschwerden zu lindern, ihre verlorene Gesundheit wiederherzustellen. Aus Sicht der Industrie hingegen ist es ein Absatzmarkt wie jeder andere. Auf ihm gilt es, möglichst viele Konsumenten zu gewinnen, möglichst hohe Umsätze und Gewinne zu erwirtschaften. Arzneimittel unterscheiden sich insofern nicht grundsätzlich von Lippenstiften und Duschgels, Fruchtjoghurts und Slipeinlagen, Waschmitteln und Autos. Welcher Produzent räumt denn freimütig ein, dass seine Waren nichts taugen und erheblich schaden, wenn er zuvor Unsummen in ihre Entwicklung investiert hat? Lieber kehrt er geschäftsschädigende Fakten unter den Teppich, übertreibt den Nutzen schamlos, verharmlost Nebenwirkungen und Risiken: Es drohen Medikamentensucht, bleibende Bewegungsstörungen, Übergewicht und Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine ruinierte Sexualität, Hirnschwund, ein demenzähnlicher Verlust geistiger Fähigkeiten, emotionale Abstump­fung, schwerwiegende Persönlichkeitsveränderungen, zerstörte soziale Beziehungen, Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentung und vorzeitiger Tod.


Damit wir Psychopharmaka zu uns nehmen, müssen wir krank sein. Wie sorgt man für mehr Kranke? Indem man uns glauben lässt, wir gehörten dazu und bräuchten das Zeug. Und wenn es nicht frei erhältlich ist, sondern nur auf Rezept? Dann gilt es, diejenigen für sich einzunehmen, die definieren, was als Krankheit zu gelten hat, diese feststellen und behandeln: die Ärzteschaft.


Wie bringt man Ärzte dazu, Seelenleiden mit Chemikalien zu behandeln? Indem man sie mit entsprechenden Informationen aus Quellen versorgt, die ihnen glaubhaft vorkommen: Fachzeitschriften, Standesorganisationen, anerkannte Meinungsführer ihres Berufsstandes, Dozenten bei Aus- und Weiterbildungsveranstaltun­gen, Leitlinienkommissionen.


Wie stellt man sicher, dass aus diesen Quellen die „richtigen“ Informationen sprudeln? Durch systematische Täuschung - und Korruption. Das Multimilliardengeschäft mit Psychopharmaka lebt von Lügen, die dienstbare Koryphäen des Medizinbetriebs von der monströsen Marketingmaschine der Pharmaindustrie über­nehmen und an ihre Ärztekollegen, an Medien und Patienten weiterreichen, ihre Standesethik kaltschnäuzig verhöhnend:


1. Das Märchen vom Therapiebedarf: Nie war Psychiatrie nötiger als heute. Denn psychische Störungen nehmen neuerdings geradezu seuchenartig zu.


2. Das Diagnose-Märchen: Psychiater, und nur sie, sind imstande, psychische Störungen auf wissenschaftlicher Grundlage einwandfrei zu identifizieren.


3. Das Märchen von der Evidenzbasierung: Die Wirksamkeit von Psychopharmaka hat sich sich in hochwertigen wissenschaftlichen Studien erwiesen.


4. Das Märchen von der Unbedenklichkeit: Risiken und Nebenwirkungen von Psychopillen sind selten und harmlos.


5. Das Märchen vom Nutzen: Psychopharmaka tun seelisch Belasteten gut. Zuverlässig lindern sie Symptome, führen zu Heilung, beugen Rückfällen vor.


6. Das Märchen von der Überlegenheit: Psychischen Störungen lässt sich am allerbesten pharmazeutisch beikommen.


7. Das Märchen von der gezielten Wirkung: Psychopharmaka sind auf bestimmte psychische Störungen zugeschnitten, sie beheben diese selektiv.


8. Das Märchen von der biologischen Grundlage: Psychische Störungen beruhen auf einem neurochemischen Ungleichgewicht, einem krankhaften Hirnstoffwechsel.


9. Das Anti-Stigma-Märchen: Die Psychiatrie schützt Gestörte vor Vorurteilen und Diskriminierung.


10. Das Forschungsmärchen: Ihre astronomischen Gewinne verwendet die Pharmaindustrie hauptsächlich dazu, innovative Arzneimittel zu entwickeln.


11. Das Fortschrittsmärchen: Die über sechzigjährige Erfolgsgeschichte der Psychopharmazie hat immer bessere Medikamente hervorgebracht – Heilmittel einer „neuen Generation“.


12. Das Märchen vom Katastrophenschutz: Der grassierenden Psychoepidemie ist nur durch mehr Psychiater beizukommen, die noch mehr Psychopharmaka verordnen.

Dieses Dutzend Lügen, verbreitet und durchgesetzt mit der Skrupellosigkeit organisierter Kriminalität, durchdringt das psychiatrische Lehrgebäude, es vergiftet die Köpfe wie metastasierender Hirnkrebs. Verschreibende Ärzte vertrauen darauf, geblendet oder gekauft. Und Hilfesuchende vertrauen solchen Ärzten. Gutgläubig liefern sie sich einer Medizin aus, die sie in Wahrheit krank und kränker macht – weil es an Gesunden nichts zu verdienen gibt. Mit der Pathologisierung gewöhnlicher Lebenskrisen, der Erfindung immer neuer Krankheiten, der Abschaffung des Normalen ist die moderne Seelenheilkunde „wahrscheinlich die mit Abstand zerstörerischste Kraft“ geworden, „die in den letzten sechzig Jahren auf die Gesellschaft eingewirkt hat“, wie ihr der US-amerikanische Psychiater Thomas Szasz (1920-2012) vorhielt.


Geld dafür, die propagandistische Giftküche in Gang zu halten, ist im Überfluss vorhanden: Big Pharma ist der mit Abstand einträglichste Wirtschaftszweig auf unserem Planeten, mit Jahresumsätzen jenseits der Billionengrenze und traumhaften Gewinnspannen, teilweise über 40 Prozent. Nur ein Bruchteil davon fließt in die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente, allen Beteuerungen der Branche zum Trotz. Der Löwenanteil landet im Marketingtopf. Daraus ergeben sich schier unbegrenzte Werbe-, Druck- und Schmiermittel. Längst haben sie dafür gesorgt, dass unser Gesundheitssystem mafiöse Züge angenommen hat. Ärzte betätigen sich darin als verlängerter Arm der Arzneimittelindustrie. Alle Beteiligten profitieren prächtig davon. Auf der Strecke bleiben: ratlose, an der Nase herumgeführte Hilfesuchende wie jene, die in den Camps meiner Stiftung einen Ausweg suchen. Ihnen widme ich dieses Buch - in der Hoffnung, dass es ihnen ebenso die Augen öffnet, wie es in meinem Fall die Stiftungsarbeit tat, und sie ermutigt, um die Psychiatrie einen weiten Bogen zu machen, selbstbewusst und unbeirrbar. Von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, gibt es wirksamere, weitaus weniger belastende, risikoärmere Alternativen. Würden sie so ausgiebig genutzt, wie sie es verdient hätten, wären Psychiater weitgehend arbeitslos.



Bei diesem Text handelt es sich um das Vorwort des Buchs von Harald Wiesendanger: Unheilkunde. Die 12 Märchen der Psychiatrie - Wie eine Pseudomedizin Hilfesuchende täuscht (2017)





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